Stefanie Unruh: „Bildersammlung“ – archivarische Anmerkungen

Stefanie Unruhs zweiteilige großformatige Fotocollage „Bildersammlung“ im Foyer des Landeskirchlichen Archivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bietet dem Betrachter originelle und vielfältige Einblicke in verschiedenartige Facetten kirchlichen Lebens und Handelns.

Durch die Gestaltungsweise der Tafeln stellt die Künstlerin einen Bezug zum Archiv her. Indem sie ihre Gesamtaussage durch Anhäufen, planvolles Anordnen und Übereinanderblenden von Fotos als visuellen Gedächtnisspeicher aufbaut, arbeitet sie in gewisser Weise einem Archiv vergleichbar, das ja Verwaltungsschriftgut und damit das Handeln eines Auftraggebers dauerhaft speichert. Zwar sind klassische Archive in der Regel keine Institutionen, die vor allem sammeln, vielmehr wächst ihnen das Schriftgut ihrer Träger von selbst zu, wenn es in den täglichen Verwaltungsabläufen nicht mehr gebraucht wird. Doch stellt sich die Fülle der Unterlagen im Archiv dem Außenstehenden  in der Regel wie eine ungeheure, zufällige und bunte Sammlung dar. Der innere Zusammenhang all dieser Papiere und Pergamente erschließt sich erst bei tieferem Eindringen in die Behörden- und Registraturzusammenhänge.

Die größere der beiden Arbeiten, „Kirchenräume“ zeigt an der Ostwand des Foyers in reizvoller Überblendung zahlreiche evangelische Kircheninnenräume aus ganz Bayern und künstlerische Objekte aus diesen Räumen. Dies sind die Orte für Gottesdienste, Konzerte, Trauungen, Taufen, Trauerfeiern und andere Veranstaltungen. Wir finden uns hier im innersten räumlichen Wesenskern unserer Glaubensgemeinschaft.

Die Volkskirche macht diese Räume der Öffentlichkeit zugänglich, sie gehören zum kulturellen Allgemeinbesitz — für die Gläubigen zu Gebet und kirchlichen Handlungen, für Nichtglaubende zur Betrachtung des Gesamtkunstwerks Kirche oder als Angebot eines Ruhepols in einer ruhelosen Welt.

Ganz anders die kleinere Collage „Archiv“ an der Südwand: Der Blick der Betrachterin fängt sich sofort in den weiten Magazinfluchten des Landeskirchlichen Archivs, wo die Archivalien gelagert werden. Diese Räume werden dem „normalen Menschen“ nur in Ausnahmefällen zugänglich gemacht. Die Künstlerin türmt in kreativem Spiel Regale, Urkunden, Bücher, Akten, Pläne und Filmrollen auf- und übereinander, setzt sie kunstvoll in überbordende Beziehung — das hübsche, wenn auch veraltete Klischee vom verborgenen Elfenbeinturm und der geheimen Schatzkammer Archiv wird hier natürlich nebenbei lustvoll bedient.

Die Archivleiterin muss zugeben, dass sie beim ersten Blick auf diesen Teil der „Bildersammlung“ erschrocken ist. Denn was die Künstlerin als anregendes und kreatives Chaos gestaltet, ist den archivarischen Fachleuten Mahnmal von Versäumtem, intensive Aufforderung, schnellstmöglich Ordnung zu schaffen. Doch der von uns ersehnte Ordnungs-Wunschzustand bedeutet die Einbettung des Archivguts in endlose Reihen von gleichförmigen grauen Kartons. Dass dies keine künstlerische Herausforderung darstellen würde, ist uns indessen bewusst.

Charmant vermischt Stefanie Unruh in der Archivcollage unsere Kernaufgabe der Bewahrung und dauerhaften Erhaltung der übergebenen Unterlagen mit den übrigen Tätigkeitsbereichen eines modernen Archivs. Sie integriert die öffentlichen Facetten unseres Handelns in den abgeschotteten Teil, indem sie unseren Transporter, mit dem wir zu Beratungsfahrten bei den bayerischen Pfarrämtern unterwegs sind und Archivgut aus ganz Bayern abholen, aus einem Regal herausbrechen lässt; auch die Präsenzbibliothek unseres Lesesaals und die Besucherterrasse wachsen als wichtige Bestandteile unseres täglichen Angebots an die interessierte Öffentlichkeit aus Magazinregalen heraus. Eine Ausstellungsvitrine verweist auf die wichtige Aufgabe der Bildungsarbeit, verschiedene wie Ausstellungsstücke hervorgehobene Archivalien bilden — wie die Kunstobjekte in der Kirchencollage — einen Kontrast zu den großflächigen Raumeindrücken: mittelalterliche Urkunden, die Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung, ein Brief Melanchthons, ein Kirchenstuhlbuch aus St. Sebald in Nürnberg; oben jagen Dürers apokalyptische Reiter durch die Landschaft und versteckt am Rand steht der kleine Playmobil-Luther auf einem Schreibtisch, in der Hand die Schreibfeder und seine Bibelübersetzung.

So bildet Stefanie Unruhs Doppelcollage vom ganz Großen zum sehr Kleinen und wieder zurück einen fantasievollen und ansprechenden Einblick in die Kirchenräume und das archivische Leben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Wir freuen uns sehr, dass unser Archivneubau durch ihre Arbeit „Bildersammlung“ bereichert wird.

 

Dr. Andrea Schwarz, Kirchenarchivdirektorin